Es muß einen wundernehmen, daß fast allen Männern von großer Tüchtigkeit einfache Sitten eigen sind und daß fast immer einfache Sitten als Zeichen von geringer Tüchtigkeit gelten.
Bescheidenheit, die liebenswürdigste Tochter der Selbstkenntnis und durchaus verschieden von der Kuttentugend Demut, haschet nicht nach Auszeichnungen, drängt sich nicht zu, und werden sie ihr, so nimmt sie solche mit Dank an, ohne sich zu erheben.
Wohl aber ist die Tugend der Bescheidenheit eine erkleckliche Empfindung für die Lumpe, da ihr gemäß jeder von sich zu reden hat, als wäre er auch ein solcher, welches herrlich nivelliert, indem es dann so herauskommt, als gäbe es überhaupt nichts als Lumpe.
Die Bescheidenheit ist nichts anderes als Faulheit, Mattigkeit und Mangel an Mut, so daß man mit Recht sagen kann, daß die Bescheidenheit für die Seele eine Erniedrigung ist.
Daß einer ein großer Geist sein könne, ohne etwas davon zu merken, ist eine Absurdität, welche nur trostlose Unfähigkeit sich einreden kann, damit sie das Gefühl der eigenen Nichtigkeit auch für Bescheidenheit halten könnte.
Die Menschen haben viele absonderliche Tugenden erfunden, aber die absonderlichste von allen ist die Bescheidenheit. Das Nichts glaubt dadurch etwas zu werden, daß es bekennt: Ich bin nichts!
Unter allen Dingen ist menschliche Bescheidenheit am leichtesten totgeräuchert und totgeschwefelt, und manches Lob ist so schädlich wie eine Verleumdung.
Man hat aus der Bescheidenheit eine Tugend gemacht, um den Ehrgeiz großer Männer einzuschränken und um die Mittelmäßigkeit über ihr geringes Glück und ihr geringes Verdienst zu trösten.
So strebt die Weisheit nur nach hellstem Glanz, setzt sie sich selbst herab: Wie schwarze Masken verdeckte Schönheit zehnmal mehr erheben als Reiz, zur Schau getragen. (Angelo)